Meine Geschichte – Kapitel 12

von | Apr 2, 2019 | Meine Geschichte

Herausforderungen in der Arbeit mit der Kultur von Missbrauch
Eine der Herausforderungen für Menschen, die berufen sind, Personen zu helfen, die unter verschiedenen Formen von Missbrauch leiden, besteht darin, wie ihre Worte und Taten zu verstehen sind. Vieles ist von ihren unbewussten Reaktionen auf das Geschehen in der Vergangenheit geprägt . Wir müssen mit „ihren  gestörten  Brillen“ wahrnehmen. Gewöhnlich wissen nur sie, wie jemand ihnen als möglicher Missbrauchstäter, als Opfer oder Helfer  nahe kommt.

Kultur

° Wenn ein Helfer für einen möglichen Missbrauchstäter gehalten wird: Man bekommt oft eine Antwort im aggressiven, kämpferischen Ton oder eine willfährige Antwort „ja, ja, du hast Recht“, aber sie handeln nicht danach, weil sie nicht überzeugt sind; sie haben in ihrem Leben nur gelernt, dass es besser ist, nachzugeben. Oder eine nichts sagende  Antwort, mitunter können sie gar nicht denken, da gibt es keine Worte, aber in ihrem Geist sind Gedanken, die auszusprechen sie jedoch nicht in der Lage sind. Sie können buchstäblich oder im übertragenen Sinn „weglaufen“.

 

° Wenn der Klient im Helfer ein mögliches Opfer sieht: Das kann Mitleid erregen („wieder einer, der mir zu helfen versucht“) oder bedrohlich werden für die Intensität ihrer Geschichte, sie spulen das Gesagte zurück und widerrufen es . („Armer Téo, er muss sich diesen ganzen Mist anhören, das muss ihm zu schaffen machen“.)

 

° Wenn er als gestörter Helfer gesehen wird: Bestenfalls kommt Widerstand auf gegen die Vorschläge oder Resignation, nicht wirkliches Zuhören oder eine ablehnende Reaktion.

 

Die Neuronen im Gehirn reagieren nur, wenn sie eine Information bekommen, die Sinn macht. Andernfalls wird die Information automatisch verworfen wie eben die vielen Sehenswürdigkeiten, die wir beim Reisen wahrnehmen und sie doch nicht in Erinnerung behalten. 

 

Viele traumatisierte Menschen haben keinen bewussten Kontakt mit ihrem Körper. Sie nehmen nicht wirklich wahr, was sich in ihrem Körper abspielt. Die Gefühle treten  ohne erkennbaren Grund auf. Die Klienten waren in ihrer Jugendzeit verwirrt. Nun müssen sie lernen, wie auf diese Gefühle zu antworten ist. Werner May (1) sagt dazu:

 

„Beziehungsfähigkeit schließt die Fertigkeit  mit ein, für andere ein Interesse zu entwickeln, zu lernen, andere zu verstehen und zur Zusammenarbeit bereit zu sein. Das bedeutet mehr Eigenarbeit, unseren Umgang mit den Gefühlen neu zu lernen. Die meisten von uns dürften aufgewachsen sein mit dem Tatbestand,  dass es gute und schlechte Gefühle gibt. In Wirklichkeit gibt es angenehme und unangenehme Gefühle, beide können gut oder schlecht sein. Die angenehmen Gefühle hat Gott geschaffen, damit wir Freude empfinden, die unangenehmen hat er geschaffen als Gefühle mit Signalfunktion als Zeichen, dass etwas nicht ganz stimmig ist.  Folglich sind Angst oder Neid zum Beispiel nicht schlechte Gefühle, sondern sehr gute Gefühle, nur unangenehm, da sie die Frage aufwerfen, ob etwas falsch gelaufen ist. Wenn wir in diesen unangenehmen Gefühlen verharren oder sie unangemessen und oft gewaltsam hochfahren, können wir von ungewollten negativen Haltungen sprechen, aber als Signalgefühle sind sie ganz vernünftig und sogar wünschenswert“.

 

Einige Anregungen, wie mit dem MF auf schwer verletzte Menschen antworten:

 

Weil ihr mit einer lebenden Person sprecht, könnte man ein Kompliment machen (Ich schaue oft absichtlich ein bisschen ungläubig drein) und sagen:“… und du hast dich nicht selbst umgebracht? Ich bewundere deinen Überlebenskampf!“

 

Wenn jemand von einem unbedingt vernichtenden oder versuchten Selbstmord spricht und das mit euch teilt: zeigt Verständnis und Interesse für ihre Gefühle, weniger dafür, was an Umständen sie zu dieser Tat geführt hat. Das ist ihre Art, mit der inneren Qual umzugehen.

 

Es kann mit dem Suizid der Glaube einhergehen, dass sie irgendwie weiterleben, wenn sie den inneren Missbrauchstäter (die negativen Gefühle, das Empfinden von Hoffnungslosigkeit) töten! Wir müssen Neugierde entwickeln, wie sie ihre Welt sehen. Manchmal könnte man fragen:

 

Was hast du empfunden, dass deswegen der Selbstmordversuch ausgelöst wurde?  Bohrt nicht, hört zu und wiederholt, was ihr von ihrer Mitteilung verstanden habt, dass sie es daraufhin bestätigen können. Das ist dann der Beweis, dass ihr sie verstanden habt.

 

Jene, die in einer Missbrauchskultur aufgewachsen sind, haben ein teilweise verzerrtes Denkmuster von ihrem Umfeld gelernt. Ich würde nie zu ihnen sagen: Du hast einer Lüge geglaubt, denn das löst bei ihnen Schuldgefühle aus. Schuldgefühle sind gewöhnlich ein Teil ihrer mentalen Sperre, etwas zu ändern. Ich würde eher sagen: Du hast als Kind oder Jugendlicher ein Missverständnis dahingehend entwickelt, dass  ‚der Tod ein Freund ist, der ruhig wartet‘. Das mag eine beschwichtigende Option gewesen sein, als einer jung war, vielleicht sogar die einzige letzte Möglichkeit eines Ausweges. Nun sind sie erwachsen, der Missbrauch liegt Jahre zurück. Lasst uns die Angst auf das System von Missbrauch lenken. Wenn der oder die Missbrauchstäter noch am Leben sind: entscheidet euch selbst, gut zu leben und wendet euch ab von diesen Leuten im Jetzt. Ihnen gegenüberzutreten ist für eure Heilung nicht notwendig. Werdet zuerst geheilt und dann können wir sehen, was zu tun ist. Wenn nötig, erzählt ihnen von der „Silberbox“ oder etwas Ähnlichem, das hilft, Dinge auf die Seite zu stellen, bis die Zeit dafür reif ist.

 

Selbstmord

 

Im Falle, dass man eine latente Selbstmordgefahr bemerkt, kann man sagen: ‚Es wäre furchtbar für mich, wenn ich zu hören bekäme, dass du dich entschieden hast, zu sterben‘. Man kann versuchen, ihnen Hoffnung zu vermitteln wie z.Bsp.: ‚Ich habe noch Hoffnung, dass du Freiheit erlebst, in welcher Lage du auch immer sein magst.  Obwohl man nicht jederzeit die Situation ändern kann, finden sie sich selbst zurecht; niemand kann sie zwingen, am Leben zu bleiben.

 

Strahlt den Frieden Gottes aus, der einhergeht mit einer entspannten, jedoch aufmerksamen Körpersprache, aber erlaubt euren Augen, eure Traurigkeit zu zeigen. Ihr könnt ihnen sagen, dass ihr suizidales Denken eine ganz normale Antwort ist auf eine abnormale Situation, der sie ausgesetzt waren.

 

– Ein intensiver Stimmungswechsel ‚von Dunkelheit und Todesschatten hin zu einer heiteren Lebenseinstellung‘  muss dir Sorge bereiten. Wenn dir dieser Stimmungswechsel ganz merkwürdig vorkommt, indem sie sagen: ‚Nun mache ich alles gut…‘ , können sie im Moment einen „Adrenalinstoß“ haben, dass sie plötzlich voller Tatendrang sind: Nicht weil sie nun okay sind, sondern weil sie dieses „Hochgefühl“ bekommen, nachdem sie eine ruhige Entscheidung getroffen haben, sich zu töten: Seid deshalb sehr wachsam.

 

– Menschen mögen ihre Selbstmordabsichten offen aussprechen, vorausgesetzt, dass ihr versprecht, es NIEMANDEM zu sagen. Bitte, versteht, dass ihr das nicht versprechen könnt. Ihr habt sogar eine gesetzliche Verpflichtung, psychisches Fachpersonal zu informieren, wenn ihr von einer lebensbedrohlichen Situation Kenntnis habt. Ihr könntet sagen: „Ich kann verstehen, dass du eine Privatsphäre brauchst. Ich will mein Bestes tun, das zu berücksichtigen“. Ein Versprechen zum Schweigen ist das nicht.

 

– Es kann ein Bedürfnis geben, alte schmerzvolle Situationen nochmals zu erleben (für mich z.Bsp. war es der Film „Der längste Tag“ über die Invasion der Alliierten 1944 in der Normandie in Frankreich. Ich sah ihn letztendlich 25 Mal). Es gibt da meist einen kindlichen Anteil, der nicht versteht, was geschehen war und sich nur auskennen will und deshalb die Handlungen noch einmal durchspielt.

 

– Von den Überlebenden werden 50 %  NICHT zu übergriffigen, grenzüberschreitenden Personen. Aber 50%  werden zu Tätern. Zwei Krankenschwestern teilten mir unter Tränen in zwei unabhängigen Begegnungen mit, dass sie kleine Kinder im Spital sexuell missbrauchten, in Wiederholung dessen, was ihnen selbst widerfahren ist… 

 

Das Leben kann schwierig sein für einen guten Freund, der ohne Bewertung  Menschen zuhört, die tiefe Bedürfnisse wahrnehmen. Bitte, sucht darum einen Ratgeber und sprecht mit ihm über das Gehörte. Tragt diese Dinge nicht allein. Ihr könnt darüber reden, indem ihr ausreichend sicherstellt, das Vertrauen nicht zu verraten, das euch der Freund oder die Freundin geschenkt hat. Wenn sie sagen: Ihr müsst die Polizei informieren oder die medizinischen Fachleute, dann können sie euch helfen, Wege auszudenken, wie ihr vorgehen könnt.

 

Ich bin sehr dankbar für die Hoffnung, die Gott uns schenkt, dass dieses Leben hier nicht alles ist, dass ein besseres Leben vor uns liegt. Wir müssen immer wieder die Wahrheit von Gottes Wort hören, dass wir „ins Reich Gottes eintreten unter mancherlei Bedrängnis“ (Apg.14,22).

 

 

Lobe den Herrn, meineSeele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!

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