Meine Geschichte – Kapitel 2

von | Nov 23, 2018 | Meine Geschichte | 0 Kommentare

Als ich 40 Jahre alt war, erzählte mir meine Mama einige Details in Bezug auf ihre Sorgen, wenn sie mich beobachtete im Lauf der ersten fünf Monate nach meiner Geburt. Sie fragte sich sogar, ob ich blind oder taub sei. Sie sagte:

„Du lagst nur in deinem Kinderbett, hast aber nie geschrieen. Als du drei Monate alt   warst, habe ich entschieden, dich nicht zu stillen, bis du schreien würdest. Nach 24 Stunden hast du noch immer nicht geschrieen; ich konnte es nicht länger aushalten und gab dir wieder zu trinken. Zusammen mit einer Freundin gingen wir zu unserem Arzt. Im Wartezimmer nahm dich meine Freundin auf ihren Schoß und sagte: „Téo, zeig‘ mir jetzt, dass du mich hörst…“ Dann hast du mit einem Lächeln reagiert… Der Doktor meinte auch, dass du hören und sehen kannst. Du warst ein eher stilles Kind“.

Im Rückblick würde ich sagen, dass alles, was mein Leben während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten berührt hat, sicherlich mit meiner Mutter zu tun hat. Unsere Beziehung in der Anfangszeit war geprägt von Distanz und Isolation, während meine zwei älteren Brüder Ihr wirklich viele Problemen gaben. Die Vorfahren meiner Mutter waren sehr arme gottesfürchtige Bauern, schwer arbeitende und widerstandsfähige Leute, die nur davon lebten, was ihre kleine Landwirtschaft abwarf. Ich habe gespürt, dass ich von diesem stoischen Erbe ebenfalls etwas in mir hatte.

Wenn ich davon spreche, spüre ich etwas Zerbrechliches in mir, da dieses Verhalten, sich still zurückzuziehen sowohl Schutz als auch Schwäche war, das mich bis zum heutigen Tag begleitet hat. Sobald ich auf Widerstand oder heftige Auseinandersetzung mit einer stärkeren Situation oder Person traf, als ich damit zurechtkommen konnte, ging ich automatisch in den „Überlebensmodus“ und ich wurde schweigsam und zog mich still zurück. Darüber hinaus war da der psychologische Schaden, der vom Zweiten Weltkrieg ausgelöst wurde, und auch seine Auswirkung. Im Erwachsenenalter gab es Momente, in denen ich kein Wort herausbrachte, wenn es ich es hätte sagen sollen. Dieses Schweigen hat meine Ehe belastet und eher negative Reaktionen bei manchen meiner Mitarbeiter hervorgerufen. Ich war auch nicht immer gerade leicht für sie. Ich sage „war“, denn ich weiß, dass Gott wenigstens manche dieser Auswirkungen vom Zweiten Weltkrieg und ihren Folgeerscheinungen geheilt hat. Diese Heilung erfolgte auch erst kürzlich aufgrund der unterschiedlichen kirchlichen Strukturen. Als Protestant war ich ein Anführer, hatte aber niemanden, dem ich verantwortlich war. In dem kleinen Kreis, in dem ich arbeitete, war ich der Herr Seelsorger und das „an oberster Stelle“. Jetzt, als Diakon in der röm.kath. Kirche, arbeite ich in einer Hierarchie und habe Leute über mir. Das hat mir innere Ruhe verschafft.

Die Folgen des Zweiten Weltkrieges

Meine Eltern arbeiteten mit den deutschen Invasoren in den Niederlanden zusammen. Sie luden einen österreichischen Soldaten ein, 1942 mit uns Weihnachten zu feiern. Ich erinnere mich noch, wie er, während wir „Stille Nacht, heilige Nacht“ sangen, zu weinen anfing und sagte:

„Ich will diesen Krieg nicht, aber ich musste gehen“.

Über den Zweiten Weltkrieg gab es, nach der Krieg vorbei war, in unserer Familie einfach kein Gespräch. Ich entdeckte einige Sachverhalte nach meiner Rückkehr aus Thailand im Jahr 1975. Meine Mutter war zornig über die Ungerechtigkeit, arm zu sein, an der sie in ihrer Jugend gelitten hatte und war daher fest entschlossen, nicht länger darüber zu schweigen, sondern etwas dagegen zu tun. Gemeinsam mit meinem Vater wurde sie aktives Mitglied von der NSB (Der Nationalsozialistischen Bewegung). Daraus wurde eine politische Partei und sie nahm positive Anregungen von Nazideutschland auf. Im Jänner 2015 wurde mir erlaubt, in die Kriminalstatistik meiner Eltern Einblick zu nehmen. Ich konnte nichts Belastendes für sie finden. Die Mutter sammelte Geld für die Partei. Ich erinnere mich nur an ein Foto meines Vaters mit einer schwarzen Uniform im Fotoalbum meines Onkels Matthew. Seiner Ansicht nach hatte mein Vater eine Stelle bei der NSB in Amsterdam.

Eine jüdische Familie lebte in unserer Straße. Sie hatten einen Buben in meinem Alter. Meine Eltern sagten nichts Negatives über ihn oder über seine Eltern und ich durfte mit ihm spielen. Als ich wieder einmal mit meinem Freund spielen wollte, stellte ich fest, dass sie weggegangen waren. Ich weiß noch, wie ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um von der Straße aus in ihr Wohnzimmer zu blicken. Ich sah, dass der Frühstückstisch hergerichtet war. Als ich am nächsten Tag hinging, war es genauso. Ich erzählte meiner Mutter: „Mein Freund scheint weggezogen zu sein“. Ich erinnere mich noch an die Traurigkeit in ihren Augen. Das sagte mir, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Sie meinte nur: „Ja, sie sind weggezogen“…

Meine Eltern waren sehr bald enttäuscht von den Deutschen. 1943 war mein Vater in der Lage, Bürgermeister in Sas van Gent zu werden, einer kleinen Stadt an der Grenze zu Belgien. Das erlaubte ihm, von einer Beteiligung an den Deutschen abzusetzenund er könnte schlimme Sachen Vorbeugen. Wenn immer ein Überfall von der Gestapo geplant war, wurde der Bürgermeister informiert. Er machte sich eine Notiz von jeder angekündigten Aktion und legte sie auf seinen Schreibtisch. Er wusste, dass einer seiner Angestellten Kontakt hatte zu den Wiederstand und dieser würde sie benachrichtigen. 

Eines Abends war ich zugegen, als zwei Männer von der Gestapo in unser Haus kamen.  Mein Vater sagte mir das ich mich im Badezimmer verstecken muss und die Tür versperren. In dem Moment, als ich die Badezimmertür zumachte, sah ich, wie mein Vater eine Pistole aus der Schublade nahm.

35 Jahre später (!) sagte mein Vater mir endlich, was an diesem späten Nachmittag mit den beiden Gestapo-Männern los war: Sie waren gekommen, um eine Falle aufzustellen, denn sie wollten das Informationsleck herausfinden. Sie jedoch fanden nie heraus, dass er es war, der diese Information durchsickern ließ. Die politische Lage im September 1944 spannte sich an. Meine Eltern entschieden, dass es besser wäre, wenn Mama, mein um drei Jahre älterer Bruder und ich, nach Deutschland gingen, da ein Aufstand zu erwarten war, und meine Eltern, die nach wie vor für Nazis gehalten wurden, zur Zielscheibe werden könnten.

Lobe den Herrn, meineSeele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!

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