Meine Geschichte – Kapitel 14

von | Feb 28, 2019 | Meine Geschichte, news

Kapitel 14: Umgang mit vermeintlichen Schuldgefühlen

Vor 15 Jahren etwa war ich in Ägypten eingeladen. Da man um meinen Dienst an sexuell missbrauchten Menschen kannte, baten sie mich sofort, nicht über Inzest zu sprechen. Sie erklärten mir: „Das passiert hier nicht.“ Im darauf folgenden Jahr war ich wiederum eingeladen, um über dysfunktionale, d.h. gestörte Familien zu sprechen. Im dritten Jahr hatten Zeitungen gerade eine Geschichte von einem Vater veröffentlicht, der seine drei Monate alte Tochter vergewaltigt hatte und sie daran verblutet war. Überall begannen Leute über das zu reden, von dem sie Kenntnis hatten, dass es mit jemandem geschehen war. In Oberägypten waren es an die 75 % der Mädchen, die sexuell missbraucht wurden. Zusätzlich gibt es dort für viele sieben- und achtjährige Mädchen die grausame Erfahrung der Genitalverstümmelung.

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Als ich eine Ärztin aus Oberägypten zum sexuellen Missbrauch von Buben befragte, sagte sie, dass so etwas jeder Bub erlebt. (Meist sind die Täter ältere Buben). „Aber für Buben ist es nicht so schlimm; ich habe eine Tochter und ich konnte sie bis jetzt vor unangemessener Berührung schützen; ich habe einen Sohn, dem das auch passiert ist. Da er jedoch kein Mädchen ist, ist es weniger schlimm“…

 Die öffentlichen Reaktionen auf die tragische Geschichte mit dem drei Monate alten Baby riefen die Kirche auf den Plan. Mitglieder der koptischen Kirche und verschiedener evangelikal orientierter Kirchen traten an ihre Leitung heran und mit ihrer Unterstützung begannen sie mit Mesarpac (Schule für Pastoralberatung in Bezug auf Missbrauch im Mittleren Osten). Anfang Dezember 2018 hat diese Einrichtung ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert und mich dazu wieder eingeladen. (Damit verbunden war der Vorschlag, mit business class zu fliegen). Die Ausbildung ist jetzt wie in Dänemark auf zwei Ebenen aufgeteilt: Die pastorale Beratung und aufgrund der Dänischen Anerkennung die Möglichkeit, Psychotherapeut zu werden. Dr.Vibeke Möller und Dr.Marian Bridget Connoly sind die beiden Leiter, die meine Verantwortung übernommen haben. In Ägypten nennt sich die Ausbildung Perle. Sie ist von hohem Wert in Ägypten, weil es dort kaum christliche Psychotherapeuten gibt. Viele Menschen hatten Erfahrungen mit schweren Traumata. Darüber hinaus schlagen sie sich mit großen unklaren Schuldgefühlen herum, die wie eine feuchte Decke über ihrem Leben hängt.

Umgang mit vermeintlichen Schuldgefühlen

Überall, in Österreich wie auch in Ägypten, gibt es Christen, die von undeutlichen, vermeintlichen Schuldgefühlen geplagt werden. Nicht dass sie etwas Falsches getan hätten, vielmehr ist es ein Empfinden, dass sie selber falsch sind. Wie immer sie sich selber einschätzen, jedes Mal schwingt dieses unklare Gefühl von Schuldigsein mit. Wenn sie etwas getan haben, was gegen das Wort Gottes verstößt, wissen sie, was zu tun ist, bitten um Vergebung und bemühen sich, ihr Verhalten zu ändern. Natürlich könnten sie auch zu einem Priester gehen, wenn sie es für notwendig erachten, und es bekennen. Dann haben sie etwas Greifbares: Einer mit Vollmacht sagt: „Dir ist vergeben“. Das ist nicht nur in Österreich so, sondern auch in Ägypten. Die vermeintlichen Schuldgefühle sind eine Quelle von Frustration. Ich habe das damit erklärt, dass ihr Gehirn und ihr Körper auf Schuldigsein programmiert ist. Eine andere Wirklichkeit können sie nicht wahrnehmen. Da es mindestens drei Monate braucht, um ein neues Verhalten zu lernen, habe ich früher vorgeschlagen, sich drei Monate von Schuldgefühlen „frei zu nehmen“. Zuletzt habe ich sechs Monate vorgeschlagen… Ermutigt durch einen neuen, lebendigen Glauben an die Kraft der Barmherzigkeit unseres Herrn, können sie sich diesen Schuldgefühlen stellen. Wie? Indem sie sie im Geist bewusst auf die Seite stellen, sich auf die Liebe Jesu konzentrieren, sich buchstäblich den Rücken gerade richten und in einer Atmosphäre von Dankbarkeit dem Herrn gegenüber leben (Phil.4, 4-6), denn Er nimmt unsere Sorgen und Anliegen auf Seine Schultern, bedeckt und schützt Gedanken und Gefühle mit Seinem Frieden.

 Einer meiner katholischen Freunde schrieb mir Folgendes:

„Seit unserem letzten Treffen versuchte ich, mich nicht schuldig zu fühlen und alles schlechte Gewissen auf das Kreuz unseres Herrn zu legen. Am Anfang fühlte ich mich sogar schuldiger als vorher, weil mir meine Situation noch deutlicher bewusst wurde. Eine Unmenge von Gedanken an Situationen, in denen ich mich schuldig fühlte, füllte meinen Geist zu jeder Zeit. Einerseits war ich darüber erschrocken, andererseits war ich dankbar für den Hinweis, den du mir gegeben hast, um diesen Weg der Heilung einzuschlagen.

Daher danke ich dir für diesen Rat und für dein Gebet. Du sprachst von drei Monaten als Zeitraum für meine Heilung. Ich vermute, dass ich länger brauche, weil ich die ersten drei bis vier Wochen so beschäftigt war, meine Situation zu begreifen, und nun beginne ich, mich freizumachen von meinem schlechten Gewissen hin zu einer besseren Einstellung.

Dieselben Rückmeldungen bekam ich aus Ägypten! Dank sei Gott, der uns lehrt, in Freiheit zu wandeln: „Es gibt keine Verurteilung für die, die in Christus Jesus sind“. Röm. 8,1.

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